Wilhelm von Humboldt           Die Natur

1767 – 1835

Die man die Mutter aller Dinge nennet,

Die ewige Natur, der Frucht und Blüte

Entsprießen, die als Urquell aller Güte

Der Mensch anfleht – sie Mitleid niemals kennet.

 

Im harten, unerbittlichen Gemüte

Sie, was sich liebt, unwiderruflich trennet,

Und statt daß sie des Menschen Werk behüte,

Nur niederschmettert, überschwemmt, verbrennet,

 

Die weise hält die Erde eingepresset,

Die wilden Kräfte, stürmisch los sie lässet,

Geschlechter nach Geschlechtern grausam schlachtet,

 

Und Menschennot und Menschenschmerz nicht achtet,

Zufrieden, wenn aus Kräften Kräfte streben

Und durcheinanderwimmeln Tod und Leben.

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Die Sonette

1767 – 1835

Mich kümmert nicht, daß oft dieselben Töne

In diesen flüchtgen Reimen wiederkehren,

Ich will die Schwierigkeit nicht streng vermehren,

Mir genügt, daß mit dem Laut der Sinn versöhne.

 

Ich suche nur das Wahre, Gute, Schöne,

Und den Gefühlen nicht der Brust will wehren,

Pedantisch nicht die Sylbenweise lehren,

Daß stolzes Ohr mit seinem Lob mich kröne.

 

Ich dichte nicht für fernhin künftge Zeiten,

In Lethe’s Wellen sinkt am andren Morgen,

Was ich am Abend sorglos niederschreibe.

 

Ich nur allein doch kann enträthselnd deuten

Den Sinn, der oft liegt tief darin verborgen,

Und bin zufrieden, daß mir der nur bleibe.

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Sisyphus

1767 – 1835

Den Stein zu wälzen, der entdonnernd weichet,

Verdammt ist Sisyphos vom Qualgeschicke;

Doch in des Sturzes treulos arger Tücke

Der Ruhm des Menschen jenem Marmor gleichet.

 

Wenn nicht die Stärke bis zum Grab ausreichet,

Zu ringen, daß man steigend ihn erblicke,

Wenn Schwäche bleibt im Leben oder Lücke,

Der Sternenkranz der Heldenstirn erbleichet.

 

Denn in des Geists ätherischen Gefilden

Erhalten ist ein ewig neues Bilden,

Und kein Besitz ein ruhig’ Liegenlassen;

 

Was in die Luft nicht eitel soll zerstieben,

Muß rasche Tatkraft immer neu erfassen,

Von hebender Begeisterung angetrieben.

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Freie Bewegung

1767 – 1835

Schifft man denn immer nur um anzulanden?

Ist’s süßer nicht, nur schaukeln sich zu lassen,

Des offnen Meeres Anblick zu umfassen,

Den Wind gelöst zu sehn von allen Banden?

 

Wo niemals hochgetürmte Wogen branden

An schroffer Küste finstren Felsenmassen,

Die freien Fluten nicht den Segler hassen,

Ihr tanzend’ Bäumen lässet ihn nicht stranden.

 

Wohl dem, der auch im Leben kann beschiffen

Nach Lust des Denkens unbegrenzte Fläche,

Fern von der Welt und ihren Tandgeschäften.

 

Fest an den Nordstern kann den Blick er heften,

Und wie sich stürmisch Well’ an Welle breche,

Gesichert segeln hin vor allen Felsenriffen.

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Der Rhein

1767 – 1835

               Als ich, o Rhein, dein tiefes Grün erblickte,

da mir die Jugend noch des Lebens blühte,

mich rein empfundne Liebe tief beglückte,

obgleich mir Gegenliebe mild nicht glühte.

 

Mein Los mich deinen Ufern dann entrückte,

und in dem wund zerrissenen Gemüte

mein Innerstes der bittre Schmerz durchzückte,

daß ich vertraute kaum der ew’gen Güte.

 

Da mir begegnet’ auf einsamen Wegen

noch heiligeren Wesens Engelwalten,

und süßer Lieb und Gegenliebe Regen

 

hat mich mit Himmelsseligkeit erfüllet.

Doch jetzt getrennt ich leb hier gramumhüllet,

und sie wird fern im kalten Haus gehalten.

 

 

 

              

 

Wilhelm von Humboldt           Die Sterne

1767 – 1835

Ein großer Dichter sagt, daß man die Sterne

Begehre nicht, sich ihres Lichts nur freue:

Sah er denn sehnend nie in jene Ferne

Nach Welten wo das Sein sich ihm erneue?

 

Wohl hängt das Aug am Sternenglanze gerne,

Doch nicht, daß er die tiefe Nacht zerstreue: -

Daß tief die Brust in sie zu tauchen lerne,

Wenn nicht ihr Glück mehr gibt die heitre Bläue.

 

Wenn, was das Herz geliebt, die Erde decket,

Ihr Dunkel nur die Lust des Busens wecket.

Man liebt die fernen Sterne hier auf Erden,

 

Daß durch des Grabes Nacht sie Leiter werden;

Wenn Glück und Lust hat für das Herz geendet,

Den Blick ihr nahes Sonnenflammen blendet.

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Entschuldigung

1767 – 1835

Mit Unrecht, Verse, nenn ich euch Sonette,

Da ihr nicht schlinget in gleich engem Kreise

Der Wechselreime leicht gewundne Kette,

Mehr folgend feier, selbstgewählter Weise.

 

Mein Ohr und Sinn es freilich lieber hätte,

Ihr bliebet in Hesperiens Wohllautsgleise,

Doch den Gedanken auf Prokrustes Bette

Mußt ich einpassen seinem Reimgehäuse.

 

Dem wahren Dichter ist’s allein gegeben

Daß, auseinander wie von selbst entsprungen,

Sprachfessel und Idee zusammenstreben;

 

Umsonst von Mühe wird danach gerungen.

Ich folge nur dem Trieb, in leichte Schranken

Zu heften frei hinströmende Gedanken.

 

 

 

 

 

 

Wilhelm von Humboldt           Der innigste Wunsch

1767 – 1835

Wenn sehnsuchtsvoll nach etwas wird gerungen,

Ists nicht Begierde nur, es zu empfangen,

Es ist ein grundursprüngliches Verlangen,

In das die Seele gänzlich ist verschlungen.

 

Von Sehnsucht ist der Busen tief durchdrungen,

Wenn süßen Liebeglühens zartes Bangen

Errötend färbt der Jungfrau holde Wangen,

Wenn ihr der Gegenliebe Wort geklungen.

 

Mit Sehnsucht wünscht man sich zum Schoß der Erde,

Daß Staub zu Staub und Geist zu Geiste werde

Und Himmlisches vom Irdischen sich trenne.

 

Allein am heftigsten die Sehnsucht glühet,

Daß, was das Erdenlicht als Schatten fliehet,

Im Himmlischen sich wieder liebend kenne.